Chargeschichte
Rot, sie sah nur noch rot.
Wie ein Schleier legte sich diese Farbe über ihre Augen. Gepaart von einem pulsierenden Schmerz, der von ihrer Wange und von ihrer Stirn ausging. Blut strömte aus der spitz zulaufenden Wunde und rann an ihrem Gesicht herab. Es war warm, doch Eshaty spürte das diese Verletzung mehr als nur ein kleiner Kratzer war. Instinktiv, ohne recht zu wissen was sie da tat, zerriss sie ihren Sari, nahm den Stoff Fetzen, raffte ihn zu einem Knäul und presste den teuren Seidenstoff auf ihr Gesicht.
Kurz nahm sie den Stoff von ihrem Gesicht, ihr Blick ging direkt zu dem einst weißen Seidengewebe, der nun rot von ihrem Blut gefärbt war. Sie hatte kaum Zeit diesen länger zu betrachten, das Leben quoll aus der Wunde heraus und sie musste den Sari Fetzen direkt wieder auf die Verletzung pressen. Um sie herum hörte sie Stimmen Gewirr. Jemand redete wild auf sie ein. Sie hörte laute Rufe und Schreie, doch sie konnte nicht verstehen was dort gesprochen wurde. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Plötzlich spürte sie, wie ihr Herz bis zu ihrem Hals schlug. Schweiß bildete sich auf ihrer Haut und sie atmete viel oberflächlicher und schneller. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie sich in einer ernsten Lage befand. Gleichzeitig begann ihr Herz viel schneller zu schlagen, ihre Atmung war kürzer doch dafür viel schneller, sie holte öfter Luft und bemerkte wie Panik in ihr aufstieg.
Darüber hinaus spürte sie noch etwas anderes. Langsam begann eine innere Kälte in ihr hoch zu kriechen. Wie konnte das nur sein? Sie war hier in Alwa'shiral dem wärmsten Gebiet was sie kannte und doch wurde ihr kalt? Dazu empfand sie plötzlich auch eine Benommenheit, die ihr fremd war. Sie wankte und musste sich hinsetzen.
Zum Glück dauerte es nicht lange, bis ein Hakim kam. Er sprach mit einer ruhigen Stimme auf sie ein, während er ihr einen Trank verabreichte. Allein schon die beruhigenden Worte ließen ihren Atem gleichmäßiger werden. Sie spürte, nachdem ihr eine süße zähe Flüssigkeit eingegeben wurde, eine innere Wärme. Gleichzeitig, nahm sie wahr, wie der Schmerz nachließ.
Der Hakim untersuchte die Verletzung und prüfte ob sich Fremdkörper darin befanden, dabei zupfte er die kleinen Fäden des Stoffes heraus die sich in der Wunde verfangen hatten. Er spülte die Wunde sorgfältig aus, indem er einen Trinkschlauch von seinem Gürtel nahm und den Inhalt über die Verletzung schüttete.
Aus den Augenwinkeln sah sie wie der Hakim zu seiner Tasche griff. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Hakim einen sehr gut gefüllten Trankgürtel und eine ausgebeulte, scheinbar überfüllte, Tasche bei sich trug. Es dauerte einen Moment bevor der Heilermeister eine Nadel und eine kleine Phiole herauszog. Das kleine Fläschchen war schnell entkorkt, bevor sie dann sah, wie er den Inhalt über die Nadel goss. Anschließend steckte er die leere Phiole zurück, nahm einen speziellen, sehr feinen Faden aus dem Beutel und fädelte ihn ein.
Sie fühlte sich gut aufgehoben, denn sie spürte tief in ihrem Inneren das der Hakim, der Heilermeister, seine Arbeit sehr gewissenhaft ausführte. Er schien genau zu wissen was er tat. Jetzt wo sie den Schmerz kaum noch spürte und langsam auch das Blut versiegte begannen sich ihre Gedanken zu überschlagen. Glück, hatte sie wirklich Glück gehabt? Nein, von Glück konnte man hier nicht sprechen, denn sie war eine Omar. Vielleicht wäre die Situation eine andere gewesen, wenn sie im Staubviertel gewohnt hätte, oder wenn sie nicht im ersten Hause geboren wäre.
Eins wurde ihr in diesem Moment schlagartig bewusst, jeder sollte so eine Behandlung bekommen können wie sie sie nun erhielt. Denn es durfte keine Rolle spielen, ob man arm, reich, verheiratet, ledig, dick oder dünn war. Gewissenhaft, sorgfältig und mit dem größtmöglichen Wissen um das Leiden zu lindern.
Unterdessen hatte der Hakim die Wunde versorgt. Mit einer Knopfnaht, wie sie später erfuhr, hatte er ihre Verletzung vernäht und mit etwas Abstand sah er nun auf sie herab. Der Hakim schaute sie dabei direkt an und sie erkannte in seinem Gesichtsausdruck seine Besorgnis. Er teilte ihr mit, möglichst schonend, dass ihr Gesicht für immer entstellt bleiben würde, die Narbe würde zwar mit der Zeit blasser, doch er hatte sein bestes gegeben. Ihr Augenlicht würde sie jedoch behalten. Ein kleiner Trost.
Im ersten Moment war Eshaty unsicher, ob sie nun erleichtert sein sollte oder ob sie lieber nach einem Spiegel verlangen sollte. Doch das Einzige, wozu sie nun in der Lage war, war ihre Augen zu schließen. Die Tränen die ihr nun die Wangen herunter liefen schmerzten sie doppelt. Zum einen, weil die Gefühle hochkamen doch zum anderen weil sie auch über die, frisch vernähte Wunde liefen und brannten.
Sie senkte den Blick und dachte an ihre Kindheit. Vor ihrem geistigen Auge erschienen ihre Erinnerungen und sie sah sich selbst.
Schwelgen in Erinnerungen
Sie sah an sich herab, sah die kleinen Füße und spürte den kalten Boden unter ihnen. Eshaty hörte die hastig dribbelnden Schritte und wie ihre kleine Gestalt durch die Korridore huschte.
Die Erinnerungen waren so klar und frisch als sei sie jetzt und in dieser Zeit. Dabei lag diese Zeit weit zurück und sie war damals erst 5 Sommer alt gewesen. Ihr kleines Händchen fasste sich an ihren Mund und das schelmische Lächeln mit dem gackernden Kichern klang in ihren Ohren.
Die nackten Füße rannten als wäre Alatar persönlich hinter ihr her. Sie flitzten über den Boden. Rannten vorbei an riesigen, aus Sandstein gefertigten Säulen, langen Wänden, verziert mit aufwendigen Ornamenten die ganze Bilder zeigten. Gesäumt von kleinen Podesten auf denen in regelmäßigen Abständen Tonvasen standen, die mit filigranen Linien aus Gold überzogen waren. Geschmückt von zart duftenden Blumen, die jeden Morgen neu arrangiert wurden.
Das kleine Mädchen hatte gerade das Ende des langen Ganges erreicht als hinter ihr eine der Flügeltüren aufflog. Ein aufgebrachter Schrei ertönte durch den sonst so ruhigen Palast. „Eschaaaaatyyyy“ und eine kleine korpulente, komplett verhüllte Frau stemmte ihre Hände in die Seiten und warf dem kleinen Wesen einen tadelnden Blick zu. Da die ältere Natifah mit ihrem Atem zu kämpfen hatte, nutzte Eshaty die Gunst der Stunde, kicherte erneut und rannte wie der Teufel in das nächste Zimmer.
Vorbei an einer Palastwache mit Krummsäbel, die einzig und allein der Sicherheit diente, stürmte die kleine Wüstenblume mit eingezogenem Kopf durch ihre Beine. Kopfschüttelnd blickte die Palastwache ihr nach, sie war gekleidet in eine lederne Rüstung welche im sanften Licht gold schimmerte und ihr einen anmutigen Anblick verlieh.
Nun stand Eshaty inmitten der schönsten Wüstenblumen, die in leichten luftigen und bunten Kleidern gewandet waren. Sie stand mitten im Harem des Erhabenen. Der Raum war gefüllt von süßen Düften und herzhaftem Gelächter. Aufwändig gearbeitete Teppiche bedeckten den Sandsteinboden und waren mit vielen bunten Kissen belegt. Manche Sitzecken lagen verborgen hinter einem seidenen Vorhang, der nur Schatten erkennen ließ.
Grazile Frauen, eine schöner als die andere, welche ihren handwerklichen Tätigkeiten nachgingen waren hier versammelt, sie verbrachten ihre Zeit mit sticken, musizieren oder auch einfach nur mit Geschichten. Als sie Eshaty bemerkten, lächelten sie ihr freundlich zu. Eine von ihnen winkte sie hastig durch einen der Vorhänge und half ihr so zu einem nützlichen Versteck. Das kleine Mädchen kannte jede einzelne von ihnen, denn sie selbst verbrachte viel Zeit bei ihnen.
Kichernd verharrte das junge Mädchen nun hinter dem Vorhang.
Dabei langsam wieder zu Atem kommend, hatte sie nun das erste Mal die Gelegenheit ihre Händchen zu öffnen. Wobei nun eine Handvoll süßer Beeren zum Vorschein kam.
Ein zuckersüßes triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen, während wieder ein lauter Schrei durch die Gänge hallte. Ein kurzes Zusammenzucken zauberte eine Gänsehaut auf Eshatys Ärmchen, welche sie aber nur kurz davon abhielt eine der Beeren vergnüglich in den Mund zu stecken. Erschrocken hielt sie inne als der Vorhang mit einem Ruck aufgezogen wurde, die Beeren welche sie vor Schreck hatte fallen lassen kullerten zu ihren Füßen. Die Palastdame hatte sie erwischt.
Nun musste sie wieder in den Unterricht zurück. Heute sollte sie in Handarbeiten unterrichtet werden. Es langweilte sie. Doch das Nähen an sich fand sie dabei sehr interessant.
Die Erinnerung verblasste.
Ihre Hand glitt vorsichtig über ihre Wange und sie fühlte, die Narbe und den tiefen Schmerz, den die Wunde in ihrem Herzen hinterlassen hatte. Dabei ging es der Wüstenblume noch nicht einmal um ihr Aussehen, was seitdem entstellt war. Obwohl gerade das, in ihrer Kultur und bei ihrer Herkunft eine sehr große Rolle spielte. Vielmehr war es das Gefühl von Hilflosigkeit, Abhängigkeit, von Verletzlichkeit, welches sie am meisten schmerzte.
Dieser Tag, welcher erst wenige Wochen zurück lag, kreiste immer wieder in ihren Gedanken. Besonders wenn sie morgens in den Spiegel sah um ihr Kopftuch zu binden wurde sie daran erinnert und diese Erinnerung endete auch nicht, wenn sie den Schleier vor ihre Gesicht gezogen hatte. Auch wenn erst wenige Wochen vergangen waren und aus der behandelten Verletzung eine Narbe geworden war, konnte die Wüstenblume nicht darüber sprechen. Eshaty war in dem Albtraum gefangen, ihrem eigenen Trauma. Sie wusste das dieser Tag ihr Leben verändert hatte.
Irgendwann musste sie es, das war ihr bewusst. Denn sie sah immer wieder die Bilder vor ihrem geistigen Auge aufblitzen. Die jungen Anaans die in der Arena gekämpft hatten. Dabei erschien ihr die Situation, als würde sie selbst, wie ein Falke von oben darauf hinabsehen. Sie sah eine etwa 12 Sommer alte Natifah am Rande stehen und dann ging alles so schnell. Die Wüstensöhne waren so in ihrem Kampf vertieft das sie gar nicht bemerkten, wie sie dem Rande der Arena immer näherkamen. Die Ereignisse überschlugen sich als Eshaty zu ihrem Cousin laufen wollte. Sie rannte zu den Kämpfenden, doch einer der beiden strauchelte, ruderte mit den Armen, bei denen in einer Hand noch immer der Krummsäbel weilte. Während er fiel zog er die Klinge nach hinten, direkt über Eshatys Gesicht.
Rot, sie sah nur noch rot.
Sie Schluckte und kämpfte gegen ihre Tränen an. Der Tag war vergangen und die Narbe begann zu verblassen, doch nun wusste sie auch, wie ihr Leben aussehen sollte. Die Palastdamen halfen ihr beim Einkleiden, wenngleich sie heute die schlichteste Kleidung gewählt hatte, die sie besaß. Sie raffte ihre Kleider und machte sich auf den Weg.
Auf den Weg in den Maristan.