Im Prinzip war es eine Nacht wie jede Andere. Der Mond steht hoch am Himmel, bald würde er auch wieder in voller Pracht erstrahlen und die Straßen ungesund hell ausleuchten. Der Mantel flattert im Wind, er hatte sich ausnahmsweise mal einen neuen gegönnt. Ein weiter, offener Mantel – in einem eleganten Grauton – mit ausreichend Innentaschen, um diverse „Utensilien“ zu verstauen. Der Messergurt war fest um seine Brust gezurrt und von dem weiten Mantel optimal verdeckt, nur das Klimpern der Messer untereinander war durch den raschen Gang zu vernehmen und das Klacken der Stiefelabsätze auf dem Kopfsteinpflaster wohl auch. Die Hände tief in den Taschen vergraben wird seine eher schlaksige Erscheinung von dem hochgestellten Kragen und dem Dreispitz auf seinem Kopf abgeschlossen. Die fettigen Haare, wohl schon seit einiger Zeit ungewaschen, glänzen leicht im fahlen Licht.
Allmählich wird der Gang langsamer, das Ziel des Weges ist erreicht. Mit einem beherzten Griff wird die Tür zu der örtlichen Taverne, zwielichtigen Spelunke, dem Freudenhaus und was auch sonst noch, aufgezogen. Er scheint kein unbekanntes Gesicht in der Örtlichkeit zu sein, das laute Gerede und sonstige Aktivitäten werden bei Sichtkontakt aufgehoben und auch sonst wirkt die Stimmung in dem Etablissement plötzlich angespannt. Die Schankmaid stellt kommentarlos eine Flasche Rum und das dazu gehörige Glas auf den Tresen, wohl aus Gewohnheit, oder in Verbindung mit schlechten Erfahrungen. Die Szenerie wird allerdings mehr oder weniger ignoriert, die Aufmerksamkeit liegt auf einer weiteren, in einer kleinen Nische versteckten Tür. Zielstrebig steuert er diese an, nur kurz löst er seinen Blick von der Tür, um sich einen Überblick über die anwesenden Personen zu verschaffen. Nur die üblichen Säufer und Versager.
Die mit nur einem simplen Schloss verriegelte Tür wird mit einem beherzten Fußtritt aus den Angeln „gehoben“. Fast schon gelassen und wie in Routine folgt ein Griff an den Messergurt und ohne die momentane Stille der Schrecksekunde zu stören surren leise zwei Messer in Richtung Ziel.
Die zwei Wachleute gehen zu Boden, der fette Wirt gerät in Panik und das Gold, welches er gerade zählt, wird in alle Richtungen verteilt. Ruhig und langsam wird das alte Luntenschloss aus einer Tasche des Mantels gezogen und Kimme und Korn vereinen sich zu einer Linie, welche auf der Stirn des Wirts endet. Er drückt den Abzug. Eine für diese Waffen nicht ungewöhnliche Rauchwolke bildet sich, der Knall dringt durch die Räumlichkeiten – der Rauch legt sich. Der Wirt sitzt zusammengesackt auf seinem Stuhl, nur ein komisch anmutendes Gurgeln ist zu vernehmen. Die Kugel hat ihn allen Anschein nach am Hals getroffen, entweder sollte er bei Gelegenheit mal wieder Kimme und Korn neu justieren, oder es lag schlicht und ergreifend am wohl schon recht lädierten Lauf der alten Pistole. Stumm geht er auf den Tisch zu und streckt die Hand aus, als Ziel den prallsten Beutel voll Gold. Ruhig umfassen die dreckigen Finger den Beutel und lassen ihn auch sogleich in einer Manteltasche verschwinden.
Er tritt aus dem Zimmer heraus und zieht dabei einen leichten Schwefelgeruch hinter sich her. Alle Augenpaare der Gäste und auch der Bedienung sind auf ihn gerichtet. Zielstrebig steuert er die zuvor aufgestellte Flasche Rum an und schenkt sich etwas in das Schnapsglas ein. Ein mehr knapper Kommentar, frei in den Raum gesprochen „Zechpreller“ , ehe er das Glas an die Lippen hebt und den Inhalt in seinen Mund fließen lässt. Sorgsam wird das Luntenschloss in einer Manteltasche verstaut, das Glas wieder abgestellt und wieder Schritt aufgenommen. Aus der Tür ausgetreten verschwindet er auch schon im Schatten der Nacht. Ein zufriedener Gesichtsausdruck ist nicht zu übersehen.
Zwei Wochen war das alles nun schon her, langsam sollte sich ein wenig Staub über die Sache gelegt haben. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, liegt er am Strand von La Cabeza. Die Sonne scheint unermüdlich auf ihn herab, die Flasche Rum steht in einer Mulde im Sand und die Pfeife in seinem Mund, gestopft mit Wildkraut, qualmte vor sich hin. Vielleicht würde er heute Abend mal wieder einen Besuch bei Madame Minfay und ihren Mädchen machen, oder ein ordentliches Besäufnis... Wieder einmal schlichen sich Gedanken und Erinnerungen an diesem herrlichen Tag bei ihm ein. Immer wieder das Selbe – warum, wieso, weshalb? - Er ist gerne das, was er ist. Keine große Nummer, aber das wollte er auch nie sein. Sollen sich doch andere darum bemühen, dass es so läuft, wie es laufen soll. Er genießt es keine Verantwortung zu haben und vor Allem.. kein Zwang. Und doch ist da diese eine Frage, die ihn quält. Was wäre wenn?
Kalt und emotionslos starren ihn die Augen seines Vaters an, die Mutter war wieder arbeiten, wie jeden Abend. Sein Vater sagte immer, dass sie bedürftige Männer behandelt, soweit stimmte das ja auch, aber die geistige Kombinationsfähigkeit fehlte ihm in diesem jungen Alter schlichtweg. Sie war eine Prostituierte. Es war nicht unüblich, dass er am Tage arbeiten musste, nicht unüblich, dass es sich um Drecksarbeit handelte. Eines Abends kam es dann dazu, dass ihr kleines Dorf von Piraten überfallen wurde und er wegen einer Erledigung mitten im Geschehen war. Ängstlich, interessiert, begeistert und misstrauisch stand er zwischen Plünderern, Mördern, Vergewaltigern und Wachleuten. Letztendlich überwiegte die Neugier und er ging zu dem großen Schiff mit Totenkopfflagge. Scheinbar schien ihn niemand daran hindern zu wollen auf das Schiff zu gehen, lediglich einige entfernte Rufe drangen zu ihm durch.
Es war sein Vater, schreiend und kämpfend kam er hinter ihm her, bis er dann am Anfang des Stegs zum stehen kam. Einer der Piraten stand lässig an einen Holzpfahl gelehnt in seinem Weg. Die folgenden Geschehnisse waren kurz, doch erschienen sie ihm unendlich lang. Das Schwert fest umgriffen stürmte sein Vater auf den Piraten los. Als nächstes sieht er nur einen grellen Lichtblitz und eine kleine Rauchwolke und sein Vater sackt zusammen. Fast schon unberührt wendet er sich von der Szenerie ab und betritt das Schiff, bereit seine Reise zu beginnen.
Vierzehn Jahre ist das alles nun schon her. Vierzehn Jahre voll mit Abenteuern, Tragödien, Dramen und auch Komödien. Er greift die Rumflasche neben sich und nimmt einen Zug von der Pfeife, großzügig nimmt er einen Schluck von dem Rum und drückt sich nach oben. Der Hut wird zurecht gerückt und der Sand vom Mantel abgeklopft. Es war Zeit alte Kontakte zu pflegen. Die spezielle Art von Kontakten, der Weg zu Madame Minfays war nicht weit.